Reflektieren am Lagerfeuer

Retrospektive

Aus heutiger Sicht stellen sich die damaligen Verhältnisse aus Sicht der Beteiligten teilweise etwas anders dar: So räumen selbst grüne Politiker, die kräftig an der Meinungsbildung in der Friedensbewegung mit beteiligt waren, heute ein, daß die damalige Politik sich wohl doch als die richtige erwiesen hätte. Sie hätten sich seinerzeit lediglich als die Vertreter derjenigen verstanden, welche auf der Straße gestanden hätten.

„Ich sehe im Nachhinein, das der Beschluß, wie er gefällt worden ist, dazu geführt hat, daß man zu Abrüstungsschritten gekommen ist, zu denen man möglicherweise nicht gekommen wäre, wenn man diesen Beschluß nicht gefaßt hätte. ... Ich finde aber auch richtig, daß bei solchen wichtigen Entschlüssen die Leute auf die Straße gehen und sich wehren und darauf hinweisen, daß so eine Strategie, Stabilität herbeiführen zu wollen durch Hochrüstung, kein Modell mehr für die Zukunft sein kann.“ (Waltraud Schoppe / Die Grünen in der WDR-Fernsehsendung zum 50. Jahrestag der Bundesrepublik, Juni 1999)

„ ... dann ist doch jetzt der Zeitpunkt, daß man noch einmal sagen muß: Wir haben ja wohl recht gehabt, die Entscheidung war ja wohl richtig. Wir wären ja nicht zu Gorbatschow und nicht zur Deutschen Einheit gekommen, wenn wir damals nicht Stand gehalten hätten. Und deswegen ... gehört es zu den Großtaten unserer Arbeit, ... , gegen so viele Demonstrationen, nach sorgfältiger Prüfung, an unserer Überzeugung festgehalten zu haben. Im Übrigen legitimiert durch eine vorangegangene Wahl. ... und diejenigen, die die Straße dagegen mobilisiert haben, müssen sagen, gottseidank haben wir uns durchgesetzt.“ (WDR-Fernsehsendung zum 50. Jahrestag der Bundesrepublik, Juni 1999)

Diese Aussage von Wolfgang Schäuble (CDU-Vorsitzender) gibt meiner Meinung nach lediglich wieder, wie selbstgefällig und die öffentliche Meinung ignorierend, man heute immer noch als Politiker auftreten kann.

Denn was hatte man damals in der NATO dazu beigetragen, daß es zum Status quo kommen konnte?

- Fragen, die sich so einfach, wie es sich Wolfgang Schäuble macht, meiner Meinung nach, nicht beantworten lassen.
Denn die heutige Realität war nur eine Möglichkeit der Geschichte.

Und die Jugendkultur, der „Zeitgeist“? Wie entwickelten sie sich damals weiter?

Wie schon hier zu sehen ist, ließen die Friedensdemonstrationen nach der Debatte im Deutschen Bundestag, und der damit verbundenen Nachrüstung in der BRD, doch erheblich nach. Die Friedensbewegung, die man meiner Meinung nach als einen Teil der damaligen Jugendbewegung / Jugendkultur betrachten kann, existierte ein paar Jahre später quasi nicht mehr.

Der Philosoph Peter Sloterdijk erklärt dieses Phänomen mit dem Begriff von der zynischen Vernunft.
Gemeint ist damit, daß man sich der drohenden nuklearen Apokalypse, derer man sich nicht zu erwehren vermochte, sehr wohl bewußt war. - Tschernobyl gab einen Vorgeschmack.
Aber warum sollte man sich jetzt, wo alle Mittel dem entgegenzuwirken, versagt hatten, einigeln? Der Wirtschaft ging es wieder gut und man konnte sich etwas leisten. Nicht nur West-Deutschland hatte sich mit den politischen Verhältnissen abgefunden und sich in ihnen eingerichtet.
Warum sollte man also vor dem drohenden Tod nicht möglichst viel Spaß haben und sich das Leben bis dorthin bunt gestalten? Eine „heitere Hoffnungslosigkeit“ trat ein.

Vor diesem Hintergrund kann man sich wohl auch besser vergegenwärtigen, warum sich die 80er so weiterentwickelten, nach außen hin darstellten und im Gedächtnis haften blieben, wie ich es bereits unter „Die 80er waren immer präsent.“ versucht habe, exemplarisch darzustellen:
Nämlich als eine Dekade des Hedonismus, der Egozentrik und des Materialismus. Die Mode, die (Mainstream-)Musik, die Architektur, der „Lifestyle“ und der „Zeitgeist“ (ein Begriff, den wohl bis heute niemand so recht zu erklären vermag) präsentierten sich demzufolge aus heutige Sicht als bunt, üppig und fröhlich, wobei es doch nur ein (im Unterbewußten präsenter) Tanz auf dem heißen Vulkan war.

Auch der Elan der alternativen Post-Punk-Bewegung verebbte. Durch ihre enge Verbindung zu den Kunstkreisen vor Ort, war die „Abwanderung“ dorthin und zu anderen Tätigkeitsfeldern nicht aufzuhalten.
Außerdem handelte es sich hierbei von vornherein und absichtlich um ein Stadium, welches sich wandelte und aufgrund seiner (gewollten?) Amateurhaftigkeit wandeln musste. Nur so konnte man der angeprangerten Arriviertheit und Saturiertheit entkommen. - Und irgendwann: Von irgendetwas leben musste man ja auch noch ...

Nein, nicht die hier aufgezeigten (Jugend-) Kulturen jener Dekade war „schlimm“, aber die sie umgebenden Verhältnisse!!

Daher könnten sie ein Vorbild sein!